5:25 Uhr war der „offizielle“ Beginn der Spähfahrt am 19.09.1970. Um diese Zeit verließ nämlich der P 2804 (624) den Bahnhof Mainleus, „an Bord“ Pfiff Klub Köf mit einer perfekten Späherausrüstung: Notizblock, Bleistift, Fotoapparate, Tonband, Filmkamera, Filmmaterial und ein paar Fotos für freundliche Eisenbahner – nicht zu vergessen ein paar Wurststullen, denn: ein leerer Bauch späht nicht gern! Scherz beiseite, Ernst ist dran!
Der P 2805 mit der schrecklich qubelnden (Fachausdruck des PK Köf) 053 011-3 stand abfahrbereit im Bahnhof, als wir in Lichtenfels eintrudelten. Unser Anschlusszug, der E 1910 (Coburg – Innsbruck) stand auf dem Nachbargleis am selben Bahnsteig, so dass das Umsteigen kein Problem darstellte. Um 5:52 Uhr hängte sich die 140 276 „in die Riemen“, und wir sahen vom gemütlichen Abteil aus den Bahnhof entschwinden. Irgendwann zwischen Lichtenfels und Bamberg kontrollierte der Schaffner unsere Tickets. Kurze Zeit später kam er nochmals und machte uns darauf aufmerksam, dass die beiden Fensterplätze reserviert seien. Aus diesem Grund verließen wir zwischen Bamberg und Forchheim das „Lokal“ und stellten uns, da wir kein anderes leeres Abteil fanden, im Gang unmittelbar hinter unserem braven Zugpferd. In Forchheim beobachteten wir die 280 001 auf einem Nachbargleis, in Fürth eine 211 und eine 110. Nun handelte es sich nur noch um Minuten bis zur Einfahrt in Nürnberg.
Als es soweit war, entdeckten wir sofort das Bw Nürnberg Hbf. Dieselloks, ETs, E-Loks, keine Dampfer natürlich, aber halt! Was war denn das? Eine alte E-Lok war abgestellt. E 32? E16? Irgend so etwas. Aber schon waren wir längst vorbei. Die Gleisanlagen hatten sich inzwischen gewaltig verbreitert. Unter einer gewagten Autobrücke hindurch und über einen Hügel hinüber näherten wir uns dem Hbf.
Eine 50er (051 628-6) dampfte auf einem Nachbargleis (mir fällt einfach kein anderes Wort dafür ein), was einen recht guten Eindruck machte. Schon rollten wir in den Hauptbahnhof.
Aber – was war das?
Auf einem Nachbargl…, nein! Auf einem Gleis weiter südlich stand ein Vt 11, ein Inter-City, ein TEE-Triebzug. Jetzt erinnerte ich mich. „TEE-Sonderfahrt“ hatte es auf einem Plakat im Mainleuser Bahnhof geheißen. Ich hatte aber gar nicht auf die Abfahrtszeit in Nürnberg geachtet, es war reiner Zufall und eine perfekte Überraschung, ihn zu sehen. Nichts wie rüber! Alles andere war im Moment unwichtig. Aus allen möglichen Positionen wurde der Zug auf Korn genommen, schließlich hatte man ja bisher auf unserer Fotoliste vergeblich nach ihm gesucht.
Nach einiger Zeit besannen wir uns, dass wir ja schließlich noch andere Verpflichtungen hatten. Da stand z. B. eine E17 auf Gleis 1. Eine 50er fuhr zusammen mit einer E 44 als Lz nch Nürnberg Rbf. Die Zeit verging wie im Flug. Es ist klar, dass wir uns nie ganz verkneifen konnten, ein gutes E-Lokmotiv zu schießen, auch wenn uns „Dampfer“ sympathischer waren. Allmählich wurde es Zeit, auf dem Fahrplan nachzusehen, auf welchem Gleis unser Zug nach N-R abfuhr. Ein Blick genügte und … Sense! Schreck in der Morgenstunde! So sehr wir uns auch bemühten, wir konnten einfach keinen Zug erspähen, der um 9:47 Uhr nach N-R fuhr. Was nun? Im Kursbuch war er doch aufgeführt gewesen!
Peter und ich gingen ins Bahnhofsgebäude, um uns zu erkundigen. Hans blieb als „Wache“ zurück. Der Mann in der Auskunft hatte gerade so viel zu tun, dass ich selbst ein Kursbuch zur Hand nahm und nochmal nachschlug. Auf der Strecke Nürnberg Dutzendteich – Nürnberg Rbf war unser Zug aufgeführt und bei der Spalte „Anschlusszüge“ stand: ab Nür Hbf 9:47 Uhr. Jetzt ging mir ein Licht auf. 9:47 Uhr fuhr ein Zug nach Neuenmarkt. Mit dem mussten wir N-Hbf verlassen und in Nür-Dutzendteich umsteigen. Gewusst wie!
Wir besorgten uns drei Fahrkarten und gingen wieder hinaus auf die Bahnsteige.
Bis zur Abfahrt unseres Zuges hielten wir noch ein wenig die Augen offen. Irgendwann einmal trafen wir auch Hans wieder und sagten ihm Bescheid. 9:43 Uhr saßen wir schließlich im vordersten Abteil des Personenzuges nach Neuenmarkt (Zlok 140 275). Da sagte Hans plötzlich: „Was tun wir denn schon hier, wir haben doch noch viel Zeit.“ Und schon war er verschwunden. 9:46 Uhr und 50 Sekunden war es,a ls der Schaffner zum ersten Mal pfiff. Von Hans keine Spur. So ein Trottel! Im letzten Moment kam er vom anderen Ende des Bahnsteigs angerannt und hastete in den Zug. 5 Sekunden später rollten wir aus dem Bahnhof. Auf unsere Vorwürfe hin meinte Hans: „Würdet ihr euch eine 110 mit Vorspann 112 durch die Lappen gehen lassen?“
9:52 Uhr hielt unser Zug in Nürnberg-Dutzendteich. Ein schöner Bahnhof mit großer Gleisanlage, aber außer einer Köf und einem Vt 95 (795 655) ohne VB war kein Triebfahrzeug und auch kein Personenwagen zu sehen. Wir stiegen also in den Vt 95, der auf dem Zuglaufschild N-R stehen hatte und harrten der Dinge, die uns erwarteten.
Um 9:56 Uhr hätte der Zug abfahren müssen, aber aus einem unbekannten Grund wurde es 10:00 Uhr, bis wir Ausfahrt erhielten.
Die Strecke nach N-R ist außerordentlich interessant. Kühne Gleisanlagen und manchmal auch kühne Zugzusammenstellungen bekamen wir zu sehen. Über einen Güterzug mit einer V90 und einer 50er (052 988-3!) als Vorspann wunderten wir uns am meisten.
Kurz vor Nürnberg Rbf A hielt unser Vt; ein Mann, der wie ein Lokführer aussah, stieg aus. Hans behauptete, auch wir müssten hier den Zug verlassen, was wir allerdings nicht taten. Tatsächlich hing am Ende des Bahnsteigs, wie wir bei der Abfahrt bemerkten, ein verwittertes Schild: Nür Rbf Bw. Die Vorwürfe, die Hans mir machte, waren unbegründet, denn nach unserer Ankunft in Nür Rbf A entdeckten wir auf Anhieb den Weg zum Bw und ein paar Minuten später betraten wir auch schon das Bw-Gelände. Wir steuerten natürlich erst einmal das Verwaltungsgebäude an und da es das Glück an diesem Tag gut mit uns meinte, fanden wir auch sofort die Lokleitung.
Zwei Männer saßen hinter einem Schalterdtisch. Einer davon redete mit einem dritten, der dort stand. Dieser Dritte meinte, als wir eine Weile wortlos im Zimmer gestanden hatten: „Wollt ihr was? Dann müsst ihr den da fragen!“
Damit deutete er auf einen der beiden Männer hinter dem Schalter.
Ich wartete, bis der Genannte sich uns zuwendete. Als ich jedoch anhob mit meinem Sprüchlein, unterbrach er mich und sagte: „Es kommt gleich jemand, der mit euch herumgeht.“
Wir schauten einander dumm an. Der Mann musste früher Gedankenleser beim Varieté gewesen sein. Das erleichterte natürlich die Sache.
Während wir auf unseren Führer warteten, nutzten wir die Zeit, um die Nummern vom Schlüsselbrett zu notieren. Wir waren noch nicht fertig, als schon jemand hinter uns sagte: „Also, was ist? Pack´n wir´s?“ Auf ging´s! Vorher mussten wir und allerdings ins Gästebuch eintragen. Eine Frage unseres Führers musste ja kommen, als wir das Verwaltungsgebäude verließen: „Was wollt ihr denn seh´n?!
„Alles“, war die Antwort, die er erhielt.
Unser Begleiter war übrigens ein außerordentlich gemütlicher, verständnisvoller, lustiger kleiner Mann, der, wie sich herausstellte, quasi in unserer Nachbarschaft wohnte. Nämlich in Neuenmarkt.
Er war bis vor 31/2 Jahren in Lichtenfels gewesen.
Jedenfalls betraten wir nun den riesigen Dampflokschuppen, wo heute am Samstag fast jedes Gleis belegt war. Ich weiß nicht, ob es unserem Lokführer recht war, aber wir trennten uns erst einmal, da Hans und Peter eine 44er auf der Drehscheibe erwischen wollten und ich am anderen Ende der Halle mit Stativaufnahmen begann. Unser Führer hielt sich in meiner Nähe auf und gab bereitwillig Auskunft, wenn ich etwas fragte. Einmal sagte ich bloß: „Es ist eben schlecht mit Stativaufnahmen, weil man nicht weit genug zurück kommt.“
Prompt stieg er auf eine 44 (044 477) und fuhr sie ein Stück zurück, so dass ich ein paar herrliche Aufnahmen machen konnte.
Nachdem wir im Dampflokschuppen fertig waren, ging es zur anderen Halle, die ebenso groß und ebenfalls fast voll belegt war.
Eine ganze Menge verschiedener Baureihen entdeckten wir, z. B. standen da vier 236, drei 290, 260, 140, 150, 194 und später tauchte auch eine 215 (002) auf. Nicht zu vergessen die 333 001, die in außerordentlich fotogener Stellung gegenüber dem dampffreien Schuppen stand
Neben der Halle präsentierten sich zwei 260 und eine 261 in einer Reihe und sahen verächtlich zu einer ausgemusterten 64er und einer ausgemusterten 86er hinüber. Ein Stück weiter auf den Bahnhof zu befand sich das Entschlackungsgleis, wo wir kurze Zeit später zwei soeben ankommende 86er beim Entschlacken beobachten konnten.

Abgestellte Loks im Bw Nürnberg: von vorne: 044 575-9, 052 254-8, 086 132, Kesselwagen, 051 722-7, 044 137-8, 044 112-1, 050 591-7
Als wir uns einigermaßen satt gesehen hatten, besichtigten wir eine Schlange ausgemusterter Loks (50er, 44er, 86er), die auf einem extra für diesen Zweck gebauten Abstellgleis standen. Jede einzelne Lok wurde natürlich aufs Korn genommen und obwohl wir fertig waren, blieben wir anschließend noch eine Weile dort und unterhielten uns mit unserem freundlichen Begleiter, wo er unter anderem sagte: „Habt ihr schon den geplatzten Kessel gesehen?“
Wir verneinten und folgten ihm. Er führte uns in einen entlegenen Winkel des Bw, wo der zerstörte Stehkessel der 42 1893 und das Vorderteil der 50 357 mit aufgeschnittenem Kessel aufgestellt waren. Anhand der 50er erklärte uns unser Begleiter einige betriebstechnische Einzelheiten und Begebenheiten aus seiner Praxis.
Als wir wieder in Richtung des Lokschuppen gingen, fuhr gerade eine 86er heran. Wir konnten sie – und auch noch eine weitere – prima auf der Drehscheibe fotografieren.
Dann durchstreiften wir noch einmal den Lokschuppen, wo unser „Aufseher“ einen Kollegen traf, den er schon eine ganze Weile gesucht hatte. Da wir sowieso mit unserer Arbeit fertig waren, wollten wir nun nicht länger durch unsere Anwesenheit stören.
Wir versprachen, unserem Lokführer ein paar Bildchen zu schicken und verabschiedeten uns.
Vor dem Bw beobachteten wir noch eine Weile eine 44er beim Entschlacken, dann latschten wir zum Bahnhof, wo wir endlich Gelegenheit hatten, unsere Wurststullen in uns hinein zu schlichten. Bei der Aussicht auf einen Teil des Nürnberger Rangierbahnhofs mundeten sie auch vortrefflich.
Gegen 13:30 Uhr trudelte wieder der 795 655 ein, mit dem wir um 13:57 Uhr im Wettlauf mit einer 44er auf dem Nachbargleis nach Nür-Hbf zurück fuhren, d. h. bis Nür.-Dutz. und von dort aus mit dem P 4557 (Zlok 144 070) zum Hauptbahnhof. Dort war, wie immer, viel los und wir hatten alle Hände voll zu tun, so wenig wie möglich zu versäumen. Eine E 17 bot sich z. B. in günstiger Stellung zum fotografieren an. Die größte Überraschung erlebten wir bei der Einfahrt des TEE 21 „Rheinpfeil“, der mit der 103 109 bespannt war. Ich hatte die 103 soeben ein paar mal aufs Bild gebannt, als mich ein Rangierer bat, ihn und seine Kollegen einmal zu Fotografieren. Erst glaubte ich nicht an den Ernst (so hieß der Mann übrigens) der Sache, merkte aber bald, dass er tatsächlich die Absicht hatte, sich und seine Kollegen verewigen zu lassen. Deshalb tat ich ihm den Gefallen. Er bezahlte im voraus und bat mich, ihm zwei Abzüge zu schicken, was übrigens schon geschehen ist.
Bis 15:45 Uhr verging die Zeit wie im Fluge, danach im Zuge – in Richtung Heimat nämlich. Die 144 brachte unseren P 3141 bis Bamberg, wo wir eine halbe Stunde Zeit hatten, um ein Bier zu trinken und die 044 675 vor einem Güterzug zu beobachten. Es stellte sich heraus, dass unser Anschlusszug nach Lichtenfels aus derselben Zuggarnitur bestand, selbst die Lok war dieselbe. 17:44 Uhr war es,a Als wir Bamberg entschwinden sahen.
Auch in Lichtenfels mussten wir eine halbe Stunde bis zur Abfahrt des P 2843 warten. Obwohl es inzwischen empfindlich kalt geworden war, dachten wir nicht daran, in den schon lange vorher bereitstehenden Zug zu steigen, um keinen anderen zu versäumen. Punkt 18:46 Uhr saßen wir dann im warmen Abteil des 624 und waren rechtschaffen müde. Schon halb vor uns hin dösend sahen wir die schon dunkle Umgebung vorbei fliegen. In Mainleus verließen wir nur ungern das gemütliche Abteil. Wir warteten noch auf den P 2850 (Zlok 001 088) und ließen schließlich zum ersten Mal seit 5:45 Uhr morgens das Gelände der Bundesbahn hinter uns.