Es war schon immer der Wunsch meines Vaters gewesen, einmal in die Gegend von Reutlingen zu fahren und es kam Hans und mir natürlich gelegen, dass er uns mitnahm.
Als alte Lokspäher wussten wir, dass im nicht weit entfernten Tübingen die meisten der damals noch unter Dampf stehenden 38er und einige interessante ET-Baureihen beheimatet waren.
Ziel des Wochenendausflugs war aber, wie gesagt, Reutlingen. Am 16.05.1970 starteten wir morgens um 4.30 Uhr mit dem Auto. Spannend an so einer Fahrt waren immer die Bahnstrecken, die parallel zur Straße verliefen. Den ersten Zug sahen wir in Neustadt/Aisch. Es war ein Eilzug mit einer 110, von der wir allerdings die Nummer nicht erkennen konnten. In Plochingen konnten wir die 260 005 und die 150 155 beobachten. Ungefähr um 11:00 Uhr kamen wir in Reutlingen an, wo wir am Bahnhof die 144 035 und 260 511 sichteten. Wir machten erst einmal einen Stadtrundgang, bezogen etwas abseits von der Stadt unser Quartier in einer Pension und fuhren am Spätnachmittag nochmals zum Bahnhof, wo Hans und ich erst einmal die Lage auskundschafteten. Erstaunlicherweise konnten wir in nicht allzu langer Zeit recht viele Nummern notieren. Gegen 18:30 Uhr zogen wir uns wieder in unsere Unterkunft zurück. Der nächste Tag (17.05.1970) war ausgefüllt mit Ausflügen in die Umgebung und hatte nichts mit Eisenbahn zu tun. Dafür war der 18.05.1970 auf dem Gebiet der Eisenbahn umso ereignisreicher. Es war ausgemacht, das wir, Hans und ich, morgens mit dem Zug nach Tübingen fahren würden und erst am Abend wieder zurück kämen. So geschah es auch.
Bewaffnet mit der üblichen Lokspäherausrüstung standen wir also erst einmal über eine Stunde am Bahnhof, weil wir den ersten Zug verpasst hatten. Mit dem E 2106 Stuttgart-Horb, Reutlingen ab 10:18 Uhr (ZLok 110 236) gelangten wir schließlich in rasender Fahrt in die heiß ersehnte Stadt. Bei der Einfahrt sah ich die 150 159. Auf einem Nachbargleis stand die 038 156 vor einem Personenzug nach Sigmaringen. Das Schönste war, dass unser Eilzug, die 038 509 bis Horb übernahm. Tonband raus! Fotoapparate gezückt! Los ging´s. Bis 12:30 Uhr konnten wir uns vom Bahnhof nicht losreißen. ET 25, ET 56, eine 333, Vt 95, Vt 98, V 100 und –38!! Wir fühlten uns in unserem Element.
Wir trafen auch einen Eisenbahnfreund aus Hannover, mit dem wir uns eine zeit lang unterhielten, bevor er mit einem Zug nach Reutlingen fuhr. Um 12:30 Uhr war endlich mal ein wenig Luft im Fahrplan.
Wir marschierten also zum Bahnbetriebswerk, immer so nahe wie möglich am Bahnkörper. Es war gar nicht zu verfehlen. Noch dazu mit unseren Spürnasen! Von einem schmalen Steg aus hatte man einen wunderbaren Überblick über die ganze Bw-Anlage. Auf einem schmalen Weg gelangten wir schließlich dorthin.
Länger dauerte es allerdings, bis wir die Lokleitung fanden. Es hatte aber niemand etwas gegen unseren Besuch. Wir konnten alleine die ganze Anlage durchstreifen. Zunächst sei noch gesagt, dass das Bw keinen Ringschuppen, sondern zwei Rechteckhallen besitzt, die durch eine Schiebebühne miteinander verbunden sind. Vor der ersten halle standen eine ganze Menge Dampfloks. Die knöpften wir uns zuerst vor. Eine Reihe kalter Loks – 64er und 50er – bildeten den Anfang. Dahinter kamen nochmals zwei 64er und einige 38er. Im Schuppen standen eine kalte 50er und zwei kalte 38er. Ich machte einige Stativ-Aufnahmen, während Hans im Schuppen 2 die Nummern der Schienenbusse notierte. Im ET-Schuppen, den wir im Anschluss daran inspizierten, standen zwei ET 27 und eine ET 56.
In einer Seitenhalle bestaunten wir eine Wogenwaschanlage.
Neben dem Schuppen entdeckten wir eine E 93 des BW Kornwestheim.
Die ganze Zeit schon hatte ich mir überlegt, wo hier wohl ausgemusterte Loks abgestellt würden. Da – was entdeckten meine trüben Pupillen.
Hinter der etwas abseits gelegenen Bekohlungsanlage, die uns noch gar nicht aufgefallen war, stand eine stattliche Anzahl ausgedienter Loks. Nichts wie hin!
Noch nie hatten wir einen so eindrucksvollen Lokfriedhof gesehen. Zwischen den Gleisen wuchs mannshohes Schilfgras, durch das wir erst einmal hindurch robben mussten, um mit den Loks auf Tuchfühlung zu kommen. Was es da alles zu sehen gab! Eine 38er ohne Tender, mehrere Tender (Wt´s), einige 38er, ein paar 50er und ein eigenartiger Wannentender.
Wir fotografierten auf Teufel komm raus und Hans konnte sich nicht verkneifen, ein paar Schildchen abzuschrauben.
Es dauerte geraume Zeit, bis wir uns trennen konnten von den ausgedienten Veteranen. Deswegen ist aber noch lange nicht gesagt, dass wir uns nun aus dem Bw trollten. Wir schrieben erst einmal die Nummern einiger neu dazu gekommener Eloks (E 10, E 44) auf und nahmen uns dann jede Einzelne der vor dem Schuppen 1 stehenden „Dampfer“ nochmal vor. Da ich mein Filmmaterial verknipst hatte, überließ ich Hans das Fotografieren und fing mit dem Tonband ein paar Geräusche ein. Am meisten erstaunt waren wir, als zwei Eisenbahner mit einer 38er die 4 kalten 50er umrangierte als wären es Waggons.
Eine Weile blieben wir nach dieser Szene noch im Bw, dann hauten wir ab und latschten zum Bahnhof.
Dort war um diese Zeit viel Betrieb, so dass ich noch einige Tonbandaufnahmen und Hans noch eine Anzahl Fotos machen konnte.
Um 18:03 Uhr zischten wir mit dem E 2123 (ZLok 110 235) wieder nach Reutlingen, wo unsere Eltern uns schon erwarteten. Das war ein Tag gewesen! Unvergesslich! Wir waren redlich müde und verkrochen uns bald in die Fallen.
Am nächsten Tag traten wir morgens die Rückreise nach Mainleus an. Auf dieser fahrt konnten wir einige interessante Beobachtungen machen: In Lorch: 323 726,; bei Aalen: 212 222 vor Personenzug. Kurz darauf auf der gleichen Strecke: 221 125-8 vor Schnellzug. In Aalen: 236 108. Kurz hinter Aalen: 078 + 050 m. H. (beide Tender voraus) vor Personenzug. In Rot am See, wo wir zu Mittag aßen, sahen wir im Bahnhof 211 212 vor Personenzug. Auf der gleichen Strecke hatten wir vorher eine 23er vor einem Personenzug und eine 216 vor einem Eilzug gesehen. In Breitengüßbach sah ich mit dem Fernglas die 332 179-1 und in Lichtenfels stand die 050 681 und übernahm einen Dstg (gebracht von E44). Zwischen Hochstadt und Mainleus verfolgten wir vergeblich eine 01 K.S. vor dem P 2839.
Damit ging eine „Spähfahrt“ zu Ende, die uns wohl zum interessantesten Bw der DB geführt hatte.